Filter, Ausziehen, Posen

Vielleicht hat es ja der die ein oder andere Person bemerkt - ich versuche meine Social Media Präsenz ein wenig aufzuwerten. Ich schalte mal Werbung, versuche die Bilder ein wenig besser zu sortieren und natürlich auch generell aktiver zu sein.

Es ist so wild, dass heutzutage jede*r Artist darauf angewiesen ist, auch gleichzeitig Profi für Marketing und Social Media zu sein. Es geht nicht mal unbedingt um Reichweite, sondern vor allem darum, präsent und attraktiv zu sein und zu bleiben. Ich verstehe es aber auch. Wenn ich mir Profile von Artists anschaue, bleibe ich auch auf den Seiten kleben, die einen tollen Aufbau haben: die Farbschemata stimmen, der Vibe ist da und die Person wirkt freundlich/cool/talentiert/besonders. Und natürlich bleibe ich auch weiterhin Follower, wenn der Content ansprechend bleibt.

In den vergangenen Wochen habe ich mich mit einigen Personen aus meinem Umfeld unterhalten und verschiedenste Eindrücke gesammelt. Allen voran Artists, mit denen ich auch zusammenarbeite und deren Arbeiten und Social Media Präsenz ich gut finde. Die Gespräche waren ziemlich ernüchternd:

Instagram und TikTok finden alle furchtbar und gleichzeitig notwendig. Vielleicht plaudere ich hier ein Stück weit aus dem Nähkästchen, aber es ging vor allem darum, was gut bei Kund*innen ankommt. Eine Künstlerin sagte mir dazu sehr direkt „Nobody cores about your art anymore.“

Was kommt also gut an?

  • bearbeitete Bilder (Filter, Wärme rausnehmen, Kontraste erhöhen)

  • viel Haut (zeigen der kompletten Körperpartie und weniger das Tattoo an sich)

  • starke/schöne Posen (damit das Tattoo besser inszeniert wird)

Um ehrlich zu sein, die Antworten überraschten mich jetzt nicht sonderlich. Aber sie saßen irgendwie.

Wahrscheinlich erschüttert es niemanden, dass es auf Social Media nicht um „die Realität“ oder „die Wahrheit“ geht. Ich poste auch nicht, wenn ich vergessen habe Kaffee zu kaufen oder ich „ausversehen“ falsch geparkt habe (was nur sehr selten passiert, versprochen, aber Alter, in Halle einen Parkplatz zu finden ist einfach nur bescheuert).

Um zum Thema zurück zu kommen: Ich mag die ästhetischen und bearbeiteten Fotos. Ich versuche auch immer etwas Zeit zwischen dem Tätowieren und dem Fotografieren verstreichen zu lassen, damit die Haut sich beruhigt und das Foto besonders schön aussieht. Ganz bewusst leuchte ich das Tattoo gut aus und benutze die Porträt- oder Kinofunktion, damit alles etwas sanfter wirkt. Das ist auch alles fein.

Ich habe einfach sehr gemischte Gefühle, wenn es um die Fragen geht, was sieht gut aus und was verkauft sich gut. Und diese Gedanken möchte ich teilen. Ich möchte Kund*innen nicht fragen, ob sie sich mehr ausziehen oder posen, damit das Foto für mein Profil schicker wird. Ich will die Fotos nicht so bearbeiten, dass es sich wie ein Werbespot anfühlt. Aktuell versuche ich mich mit diesen ganzen Ästhetik- und Marketingsachen zu beschäftigen, ohne dabei crazy zu werden. Und ich kann Leuten, die sich für Tattoos und für das Tätowieren interessieren nur raten, beschäftigt euch ein bisschen damit. Als Artist schaue ich natürlich sehr kritisch auf mein und auch auf andere Profile, aber auch als neugierige Person oder Kund*in lohnt sich ein bisschen hinterfragen.

Tattoos auf Instagram sind so eine Gratwanderung:

  • Wirkt das Tattoo gut auf mich, weil die Person weiblich, schlank und in Pose ist? Oder sehe ich auch auf den zweiten Blick, dass das Tattoo eine gute bis hervorragende Qualität hat?

  • Was für Filter nutzt die Person? Sehe ich direkt, dass da der Kontrast krass in die Höhe getrieben wurde? Und das in keinem Verhältnis zur Qualität des Tattoos steht?

  • Was habe ich schon erlebt oder sehe ich im Tattoostudio? „Muss“ ich mich unnötig ausziehen oder „soll“ ich posieren, obwohl ich das gar nicht will? Bzw. hat mein Artist mit mir abgesprochen, welche Fotos und Videos genutzt werden dürfen (ist z.B. mein Gesicht erkennbar)?

Ich werfe das nicht in den Raum, um Artists oder Marketingstrategien schlecht zu machen. Ich möchte einfach transparent arbeiten und ein bisschen Sensibilität schaffen. Und ein Stück weit meine Integrität stärken. Zu mir passen keine Graufilter und „sexy“ Modelposen. Meine Kund*innen sollen sich wohl, sicher und ernstgenommen fühlen. Vielleicht gibt es Tage, an denen ich selber mal nicht optimal drauf bin, aber auch dann möchte ich mich um die Einhaltung meiner Ziele bemühen. Bestimmt wird es auch Tattoos geben, bei denen ich frage, ob wir ein „besonders schönes Foto“ z.B. ohne Shirt machen können, aber da darf die Person natürlich auch einfach „Nein“ sagen. Du musst dich wohl fühlen und ich muss meine eigenen Standards, eventuell abweichend von anderen Artists, finden.

Ganz viel sensible Grüße!

Friedi

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