Künstler*in sein

Warum will ich Künstlerin sein

Eigentlich ist das eine Frage und bedürfte eines entsprechenden Satzzeichens. Also mir ist schon klar, dass ich mit meinen Tätigkeiten und meiner Selbstständigkeit als Künstler*in durchgehe. Aber ich frage mich oft (und gerade auch sehr intensiv durch einen kleinen Kaffeerausch um 17.56 Uhr), warum ich das machen will. Und ob „Künstler*in“ passt. Ich könnte ja auch einfach sagen:“Hi, ich bin Friedi, habe mal was studiert und mache jetzt hauptsächlich Tattoos und wenn die Energie reicht oder der Kaffee mich bewegt, dann kommen da auch Illustrationen bei raus.“ Damit ist ja auch viel gesagt.

Also, warum mache ich das, was ich mache und warum bin ich „Künstler*in“?

  1. Ich wollte das immer sein. Ich wollte immer einen Stift in der Hand halten und (romantisch verklärt) Bilder aus meinem Kopf malen oder mich mitteilen.

  2. Ich mag „Schönes“. Ich mag bunt, ich mag schwarz-weiß, ich mag Blumen, ich mag fröhliche Gesichter, ich mag Katzen, ich mag es, wenn Bilder Behaglichkeit, Gemütlichkeit und Wärme transportieren können. Ich war nie ein geplagter Geist, der von der Kunst verfolgt wird und vollkommen manisch und in aller Verzweiflung schafft. Ich bin eine Person, die sehr ausgeschlafen sein muss und bestenfalls ein leckeren Snack am Tag hatte (oder einen in Aussicht), um etwas zu kreieren. Ebenfalls bin ich kein Mensch, der traumatisches in Bildern verarbeiten möchte, dafür habe ich Therapie gemacht.

  3. Mittlerweile weiß ich auch nicht mehr so richtig, was ich sonst machen kann. Also wirklich kann. Klar kann ich auch Rasenmähen, Auto fahren, kalt duschen ohne zu quietschen, mindestens einen wichtigen ärztlichen Termin das Jahr vergessen und auch irgendwas mit Sozialpädagogik, aber alleine der Gedanke, nicht zu schaffen, ist gruselig. Ich bin selten wütend, aber bei dem Gedanken, etwas anderes zu machen, werde ich regelrecht bockig. Alles andere ist doch blöd. Also für mich.

  4. Ich bin sehr gut und sehr schlecht in meiner Zeiteinteilung. Das scheint mir eine herausragende Qualifikation für Selbstständigkeit. Entweder treffe ich meine Liebsten oder arbeite, beides gleichzeitig klappt gar nicht und wenn ich das eine mache, fällt das andere herunter.

  5. Ich bin sehr selbstkritisch.  Das finde ich zu 20% gut (erdend und produktiv) und zu 80% anstrengend. Ich bin mir nicht sicher, ob das für’s Künsterl*innentum spricht, da ich viele Leute kenne, die sich richtig geil finden und deren Kram ich doof finde. Oder ich anscheinend nicht intelligent oder reflektiert genug bin, um ihre Kunst zu erfassen.

Nachtrag:

Ich lese das gerade nach ein paar Wochen erneut. Und fühle es immer noch so. Zwar bin ich gerade nicht im Kaffeerausch (sondern frisch geduscht und gehe gleich zur Arbeit), aber ich merke immer wieder, wie gerne ich über -ganz grob- das „Innenleben von kreativ-schaffenden Menschen“ spreche. Wie verstehen sich solche Menschen, was denken sie über ihre Tätigkeit?

In letzter Zeit hatte ich mehrere Kund*innen, die mir davon erzählt haben, dass sie gerne mehr aus ihrer Kreativität machen wollen würden. Sie haben bereits bestimmte Interessen, Leidenschaften und Ideen, aber zwischen dem Wunsch und der Realität steht der Alltag, das Alter, die Zeit und alle anderen guten Gründe. Ich kann das sehr gut nachempfinden - rede ich mir ein. Ich würde es schön finden, wenn jede Person die Zeit, die Möglichkeit und die Energie hätte, irgendwie und irgendwo ihre Kreativität auszuleben. Und ihre eigene Kreativität auch anzuerkennen. Wir müssen es ja nicht alle hauptberuflich machen, aber in dem Maße und mit den Entwicklungsmöglichkeiten, dass es sich richtig anfühlt.

Mich hat -bevor ich damit nicht selbst angefangen habe- niemand als Tattoo-Artist oder Illustratorin bezeichnet. Ich habe gesagt, dass ich das bin. Weder habe ich eine Urkunde, noch irgendeine Ausbildung. Bevor das alles real wurde, habe ich das liebevolle „du bist eine richtige Künstler*in“ von meinem Umfeld zwar gehört (wie man es gelegentlich zu einem Kind sagt, dass stolz ein Bild präsentiert), aber nicht mit der Perspektive, dass ich in dem Bereich mal arbeiten würde.

Es ist schwierig Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben - das fällt mir bei explizit bei Frauen/weiblich sozialisierten Personen auf. Irgendwie wurde uns das nicht so oft mitgegeben und fühlt sich oft nach „Ich bin noch nicht gut genug, obwohl ich positive Rückmeldungen erhalte und ich stetig dran bleibe“ an.

Ich bleibe dabei. Ich wünsche mir das Personen, die Lust haben ihre Kreativität auszuleben, dass dringend machen sollten. Es zeigt mir oft auf kleine, aber existenzielle Weise, was ich kann. Und was ich eines Tages vielleicht kann. Und es gibt mir eines der erfüllendsten Gefühle, die ich erleben kann.

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2025